SOS 2.0_ Fürsorge ist die Schwester der Autonomie
Eine Ausstellung von Mz*Baltazar’s Lab (Olivia Jaques, Patricia J. Reis, Lale Rodgarkia-Dara, Nicole Sabella, Anna Watzinger und Stefanie Wuschitz) in der Medienwerkstatt Wien
Medienwerkstatt:
Neubaugasse 40a, 1070 Wien
Eröffnung: Mittwoch 13.12.2023, 19:00
Ausstellungsdauer: 13.12. – 21.12.2023 und 09.01 – 23.01.2024
Öffnungszeiten: Di – Fr 17:00 – 20:00
Finissage: Dienstag 23.01.2024, 19:00
Fürsorge ist zuallererst seit jeher eine zutiefst überlebensnotwendige Bedingung am Beginn eines jeden Menschenlebens und fungiert als eine treibende Kraft für die Entwicklung komplexer Beziehungsgeflechte innerhalb einer Gruppe, welche schlussendlich durch die Kultur- und Zivilisationsgeschichte zur Entstehung moderner öffentlicher Fürsorge Systeme führte.
In Zeiten der Corona-Pandemie zeigten sich viele Wunden des Wohlfahrtstaates wie z.B. der politisch jahrelang verschleppte Pflegenotstand, wobei die vielseitigen Herausforderungen der Fürsorge-Berufsgruppen zum ersten Mal in die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit rückte. Parallel dazu verbreitet sich der Terminus der Fürsorge auf Social Media und hinterließ in so manchen theoretischen Diskursen sowie künstlerischen Praktiken seine Spuren, wobei hierbei insbesondere auch das Spannungsverhältnis von Fürsorge und Selbstfürsorge verhandelt wurde.
Mz* Baltazar’s Laboratory, eine Gemeinschaft aus sechs Mitgliedern mit unterschiedlichen Biographien, Erfahrungen, Meinungen, Lebenskonzepten und schlussendlich persönlichen Bedürfnissen, mit einer gemeinsamen programmatischen Ausrichtung, pendelt sowohl im Team als auch in der Programmrealisierung mit den eingeladenen Künstler*innen und Akteur*innen zwischen dem Spannungsverhältnis von kollektiver Fürsorge und Selbstfürsorge.
Wir danken den folgenden Künstler*innen für die Zusammenarbeit mit dem Mz* Baltazar’s Lab im Rahmen der Ausstellungsproduktion: Catarina Reis, Erika Farina, Taguhi Torosyan
Ausstellungsbeschreibung:
SOUNDSHOWERS_Fürsorge Gemeinschaft
Die neongrüngrellpelzigen aber kuscheligen “Soundshowers” im Ausstellungsraum erzählen in einer bewusst intimen Raumgestaltungspositionierung von den ehrlichen Freuden/Potential und Leiden/Herausforderung geteilter Erfahrungen, Prozesse und Arbeitsweisen in einer Gemeinschaft. Um eine Gemeinschaft langfristig gesund am Leben zu erhalten, gilt es das Spannungsverhältnis von Fürsorge und Selbstfürsorge auszuloten und immer wieder die Spielregeln des Kapitalismus in Frage zu stellen, welche so tief in unser persönliches Denken und Verhalten eingedrungen sind, wo nur mehr zählt, das unmittelbare, wie auch immer geartete Bedürfnis/Ziel so bequem/schnell/billig/sorglos wie möglich zu befriedigen. Fürsorge ist somit auch eine innere Haltung, verantwortungsbewusst in einer Gemeinschaft und Gesellschaft zu leben und zu handeln.
FEMALE* ARTIST INDEX VIENNA _Fürsorge Sichtbarkeit
Der “Female* Artist Index Vienna” ist eine von Mz*Baltazar’s Laboratory initiierte Online-Plattform, um für Sichtbarkeit von in Wien ansässigen Künstler*innen an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und Feminismus Sorge zu tragen. Für die Ausstellung in der Medienwerkstatt fungiert die Farbauswahl der “Female* Artist Index Vienna”- Webseite als Schnittstelle und räumlicher Übersetzungsparameter, um die Präsentation der Webseite installativ zu verorten.
MANUALS_Fürsorge Wissens- und Erfahrungsaustausch
Wir wollen den “Female* Artist Index Vienna” mit Artist Manuals erweitern. Da wir in einer Welt leben wollen, in der wir unser Wissen teilen und voneinander lernen, soll mittels Artist Manuals, sprich Künstler*innen-Handbüchern ein Teil des Herstellungsprozesses entmystifiziert werden. Das Artist Manual vermittelt nicht nur den technischen (Teil-)Aspekt einer künstlerischen Arbeit, sondern trägt auch die künstlerische Handschrift der Künstler*in. Im Kontext des “Female* Artist Index Vienna” möchten wir das Manual als Geste des Teilens von Wissen und Werkzeugen verstehen. Weitere Beiträge sind herzlich willkommen! Anfragen dazu bitte an: orga@mzbaltazarslaboratory.org
SOUNDTABLE_Materialfürsorge
Woher kommen die Elektronikteile in unseren Geräten? Sie enthalten seltene Erden und Metalle, deren Abbau globale Ungleichheit und Bodenkontaminierung verursachen. Bei unserer Suche nach Fair Trade Elektronik stießen wir auf Großmutters Teeservice. Einst Statussymbol der “weißen Mittelklasse-Hausfrau” glänzt es noch heute durch wertvolle Goldränder, die wir als elektrische Leitungen für selbst gestickte Schaltkreise zweckentfremden. Tischtuch und Teeservice werden somit zum “Kaffeekränzchen-Sound Interface” aus “urban mined” Gold.
Feministischer Hardware Baukasten:
Wir haben leidenschaftlich darüber spekuliert, wie ein Hardware Kit aus ethischen Materialien zusammengestellt werden könnte. Dieses ethische Hardware Kit ist darauf ausgelegt, in einer fiktiven Zukunft Verwendung zu finden, in der es alarmierend wenig lebensnotwendigen Ressourcen geben wird. Wir haben für dieses Projekt lange Gespräche mit Partner*innen, Maker*innen, Handwerker*innen, Künstler*innen, Studierenden und Expert*innen geführt. In diesen Gesprächen sind wir der Frage nachgegangen, wie wir Schaltplatinen und PCBs (printed circuits boards) entwickeln könnten, die biologisch abbaubar sind und wieder zu Erde werden. Es wurde vom FWF als Teil des PEEK Projekts “Feminist Hacking” finanziert.
DATA DRUM/DATENTROMMEL_Fürsorge der Privatsphäre/Datenkapitalismus
Analoge Materialität und Mechanik treffen auf digitale/online Verhaltensweisen und Fragestellungen.
Das Publikum wird eingeladen den Umgang der eigenen Daten zu reflektieren und dazu einen Fragebogen zum persönlichen (online) Alltagsverhalten auszufüllen. Die Fürsorge Ihrer Daten hat für a/o höchste Priorität! Der Fragebogen ist in Papierform, um jegliche Art von Datenabsauge-Algorithmen und/oder Hackerangriffen auszuschließen. Die ausgefüllten Fragebögen werden aus Datenschutzgründen in einer speziell präparierten Umfragebox, einer spiegelnden, manuell sich drehenden Waschmaschinentrommel, gesammelt. Diese buchstäblich analoge Datenschleuder fungiert als eine künstlerische Interpretation des digitalen Datenverschlüsselungsprinzips. Der Spiegel der Datenschutzumfragebögen-Sammeltrommel verweist sowohl auf das alltägliche optische Phänomen der analogen (Selbstfürsorge-) Überwachung, als auch auf die (antike, narzisstische Selbst-) Erkenntnis wichtiger gesellschaftspolitischer Umwälzungen unserer postdigitalen Zeit: Das menschliche Antlitz ist im digitalen, globalen Überwachungsstaat www eines der relevantesten Datenschätze und bedient durch die exzessive (freiwillige) online Selfie-Kultur u.a. kostenlos die Datengier globaler Konzerne, welche den antikapitalistischen, demokratischen Wohlstandsstaat untergraben und formen. Die Datentrommel widersetzt sich analog auch diesem Prinzip. Um die Datenschutzfürsorge der Fragebögen zu gewährleisten, ist dessen Zugriff nur durch die brachiale Zerstörung des eigenen (Spiegel/Selfie-) Systems möglich. Die Fragebögen werden nach der Auswertung gemäß der Datenschutzverordnung sicher und nachhaltig verbrannt! Anfrage zur Zusendung des Fragebögenvernichtungs-Beweisvideos bitte gerne an: orga@mzbaltazarslaboratory.org stellen!
SOS 1.0_ im Kunstraum pro arte, Hallein 2022
Photo credits: Christina Jaques, Olivia Jaques
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Photo© Janine Schranz